Im Vorfeld zu unserem 20. Geburtstag hat uns eine Botschaft von Elfriede Jelinek erreicht, die Veronika Steinböck beim FINALE unserer Geburtstagsfeierlichkeiten am 15. Mai 2020 live verlesen hat. Hier können Sie diese Nachricht noch einmal nachlesen:

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Ich habe einmal mitgeholfen, daß dieses Theater weiter bestehen konnte. Das Theater läuft jetzt schon lange. Bis jetzt konnte es mit der Nähe zum Publikum großzügig umgehen. Jetzt muß es sparen, es muß die Nähe sparen, um sie anderswo einzusetzen. Die Nähe ist nach Hause gegangen, also eigentlich: fort von uns. Dort schaut sie zu, wie auch andre heimkommen, um sich etwas ganz aus der Nähe anzuschauen. Sie selbst, die Nähe, muß ja nicht dabeisein. Sie kann woanders sein. Wo sie auch ist, wir sind selbst in der Nähe und bei der Nähe, wir sind dabei, wir stehen der Nähe bei, um in die Ferne schauen zu können. Die Ferne ist nicht weit. Sie reicht von den Augen bis zu einem Gerät, in dem wir, verkleinert, alles sehen können, was sich auf einer Bühne abspielt. Die Ferne handelt von uns, wir müssen gar nicht dabeisein. Wir sind dann andere, und wieder andere werden uns gezeigt. Wird das alles in unserer Heimkunft in uns selbst münden? Unsere Verwandten dürfen wir  derzeit ja nur sparsam oder überhaupt nicht sehen. Wir werden aber andere werden, gerade weil wir jetzt nur mit uns zusammen sein dürfen. Und wenn wir anderen auf der Bühne zuschauen, werden wir diese anderen auch noch werden, die uns da gezeigt werden. Es ist ja sonst keiner da. Wir werden den Löwen auch noch spielen dürfen und das Lamm, das gefressen wird. Wir werden zu Verwandten des Gezeigten. Da spürt man schon manchmal die Bisse oder das Fleisch zwischen den Zähnen. Diese Verwandten dürfen wir  besuchen gehen, auch wenn wir uns vor ihnen fürchten, und zwar weil sie uns besuchen kommen.

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